Sonntag, 12. November 2023

Modul 1A, Lehreinheit 2

1. Bildungswissenschaft als Wissenschaft entstand in dem Moment, als Wissenschaftler begannen, die Geschichte der Erziehung systematisch darzustellen.

2. Im 5. Jh. v Chr. erfordern die neu entstandenen griechischen Demokratien die Fähigkeit, in einen öffentlichen Diskurs über Angelegenheiten der Verwaltung und Staatsführung einzutreten. Da es sich nicht um parlamentarische oder anders repräsentative Demokatien handelt, muss jeder Staatsbürger seine Interessen selbst gegenüber den anderen Staatsbürgern vertreten und Mehrheiten suchen. Dafür sind Kenntnisse in Rhetorik erforderlich (nach Meinung der Sophisten) , eine Ausbildung in Philospohie als höchster Tugend (nach Auffassung von Sokrates und Platon) oder eine Kombination aus Rhetorik und allgemeiner Bildung (Isokrates).

3. Im 17. und 18. Jh. machen rationales Denken und emanzipatorisches Interesse das pädagogische Programm der Aufklärung aus. Ziel der Erziehung ist einerseits, sich von Unwissen und Aberglauben zu befreien, andererseits, selbst zu denken und ein eigenes Urteil zu entwickeln. Um individuelles und allgemeines Glück zu erreichen, müssen Zöglinge ein tugendhaftes Leben erlernen (Locke), ihre grundsätzlich guten Anlagen vervollkommen und von negativen Einflüssen reinhalten (Rousseau) oder durch selbständiges Denken zu moralischen Urteilen gelangen können (Kant).Die philantropische Bewegung entwickelte aus diesen Ideen konkrete pädagogische Konzepte und setzte diese auch praktisch um.

4. Der ab Ende des 18. Jh. entstandene Neuhumanismus wandte sich gegen die Nützlichkeitsüberlegungen der Aufklärung und dem Menschen und seiner individuellen Entfaltung zu. Dazu sollten die alten Sprachen und antike Literatur studiert werden. Je nach Neigung sollten die Zöglinge sich dann weiter mit Sprache oder Mathematik auseinandersetzen. Es entstand ein staatliches SchulIwesen, das zumindest formal diesem Ideal verpflichtet war. Dabei ging es um Bildung als Selbstweck, eine allgemeine, nicht berufsbildende Bildung (v. Humboldt) um kritische Auseinandersetzung mit Ausbildungsinhalten und die Vereinigung von Individualisierung und Sozialisation (Schleiermacher).

5. Um 1900 stellen Pädagogen aus unterschiedlichen Bewegungen fest, dass die entstandenen Volks- und Elementarschulen in ihrem Bildungsauftrag stark eingeschränkt sind, die Gymnasien dagegen mit überbordender und die Schüler überfordernder Stofffülle das andere Extrem darstellen. Sie fordern in unterschiedlicher Ausprägung Reformen der kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, der Struktur und Inhalte an den Schulen selbst, die Durchführung von emprischer Forschung und generell eine Erziehung, die das Kind zum Ausgangspunkt nimmt. In ihren Überlegungen und Ansätzen nehmen die Reformpädagogen teilweise das Gedankengut und erzieherische Mittel, die während der NS-Zeit propagiert werden, vorweg.

6. Während der NS-Zeit kommt es zur Installation eines außerschulischen Erziehungssystems, das, zusammen mit den staatlichen Schulen, die von der Regierung propagierten Erziehungsziele umfassend und flächendeckend umsetzt. Dazu zählen die Annahme einer Hierarchie angeblicher Rassen, die Bevorzugung körperlicher Ertüchtigung gegenüber geistiger Bildung, die Vermittlung soldatischer Tugenden und ein generelles Misstrauen gegenüber Wissenschaft und intellektueller Betätigung. Die Erziehungswissenschaft wie auch die akademisch ausgebildete Lehrerschaft werden stark ausgedünnt. Einige der nationalsozialistisch geprägten Erziehungswissenschaftler wirken auch nach 1945, in teilweiser Abkehr von dem NS-Gedankengut, weiter als Professoren.

7. 1945 endet diese Geschichte des pädagogischen Denkens, an dieser Stelle kann ich nur mutmaßen, ob die Geschichte nach 1945 schlicht noch als gegenwärtig angesehen wird, oder ob diese in einer der weiteren Lerneinheiten thematisiert wird.

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