Mittwoch, 2. Januar 2019

Der Raum ist Klang ist Schall ist Gottes Wort


Auf das Zelt zugehen. Einmal umrunden? Nicht möglich, fest mit dem nächsten Haus verwachsen. Seine Form lässt sich nicht erfassen, nicht mit den Augen und, könnte man es anfassen, vielleicht als Modell, auch nicht mit den Händen. Aus der Geometrie wie herausgefallen, mit spitzen Winkeln, scharfen Kanten. Das Dach ragt tief zu mir herunter und zugleich hoch auf. Der Eingang als Höhle, klein, eng, dunkel ist ein Übergang, ein Davor oder ein Dazwischen, Vorbereitung, Spannung – aber auch geschäftig: Gesangbücher, Broschüren liegen aus. Wenn ich die Paul-Gerhardt-Kirche betrete, fühle ich mich oft wie auf dem Weg zum großen Konzertsaal der Philharmonie: Die Stufen des Weinbergs hinaufsteigen zum Mittelpunkt des Fünfecks. Von dort weiter hinauf durch den kleinen Durchschlupf auf die Empore, den Blick zu der kleinen Glockenempore gegenüber richten, die wie ein Schwalbennest oder der oberste Rang des Konzertsaales oben unter dem Zeltdach schwebt. Mein Blick gleitet über die fünfeckige Rückwand hinter dem Altar, folgt den sanft fallenden Linien rechts und links des Altars nach unten, die sich aufeinander zu bewegen und doch erst in der Unendlichkeit zusammentreffen können. Der Raum hilft mir, meine Konzentration ins Zentrum zu lenken: in den Altarraum und in mir selbst, zur Verkündigung von Gottes Wort – gesprochen oder in der Musik. „Der Schall darf sich nicht weit entfernen, Es naht sich selbst zu euch der Herr der Herrlichkeit.“ sang der Neue Chor in einer Bach-Kantate am Vorabend des Ersten Advents in der Paul-Gerhardt-Kirche. Ihr Architekt, ein Schüler des Philharmonie-Baumeisters Scharoun, schickt den Schall geschickt von Wand zu Wand, vom Zeltdach in die Bankreihen, im stumpfen Winkel des Fünfecks und damit ganz nah an unser Ohr. Ein Gebäude, das es uns leicht macht, zu hören, zu verstehen und zu erkennen. Ein Gebäude, das uns nicht im lieblichen Pastell umschmeichelt und doch so eindringlich zu uns spricht. Ein Gebäude, wie für Sinfonien gemacht, für den Zusammenklang der Unterschiede, für das gemeinsame Atmen und Klingen und Hören. Lassen wir es wirken.

(zuerst erschienen im Frühjahr 2016 im Paul-Gerhardt-Brief der Kirchengemeinde Alt-Schöneberg)


Berlin Schoeneberg Paul Gerhardt Kirche 12.10.2011 09-50-30

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