Sonntag, 24. September 2017

Humlebaek, Louisiana Museum of Modern Art: The Cleaner. Marina Abramovic.

* einen besuch wert

im detail:
**einführung: der zugang zur ausstellung führt durch eine soundinstallation, in einem engen korridor beschallen je 4 lautsprecher von beiden seiten mit maschinengewehrsalven - dazwischen stille. die gewehrsalven sind schon von weiter her zu hören. als ich den korridor betrete ist gerade stille. ich überlege kurz, den korridor ein zweites mal zu betreten, um den "echten effekt" zu erleben. beschließe dann aber, dass die stille auch ein "echter effekt" ist. dieses spiel mit erwartungshaltungen, akut subjektivem, reflexhaftem empfinden und spontaner reaktion ist ein wesentlicher teil der performancekunst von marina abramovic, insofern ist die einführung sehr gelungen. kurze biographische abrisse leiten die drei teile der ausstellung ein.
**benutzerführung: der besucher wird durch die abfolge der räume sanft gelenkt, gelegentlich weisen pfeile den weg zum nächsten der drei kapitel. innerhalb der kapitel gibt es keine feste abfolge, die starken akustischen und optischen reize einzelner exponate entfalten jedoch teils eine deutliche sogwirkung, teils wirken sie mit drastischen bildern und geräuschen abstoßend oder jedenfalls bremsen sie den fluss, wie z.b. der enge durchgang, in dem zwei nackte menschen reglos stehen, zwischen denen der besucher seitwärts hindurchtreten muss, um in den nächsten raum zu treten.
**aufstellung/hängung: der erste, retrospektive, ausstellungsteil wird durch film- und fotodokumente in schwarz-weiß und nur wenige objekte geprägt. auffallend ist die großflächige inszenierung der bildschirme und projektionen, der man sich kaum entziehen kann. dagegen sind die verschriftlichten "anleitungen" der einzelnen performances von überraschender knappheit. im zweiten teil, der sich der spirituellen praxis und erfahrungswelt widmet, die abramovics arbeiten sowohl überhaupt ermöglichen als auch prägen und durchdringen, stehen raumgreifende objekte aus holz, stein und kristallen lose im hellen obergeschoss der ausstellungsräume verteilt. erst auf den zweiten blick erschließt sich die "benutzbarkeit" dieser objekte für die besucher, die hier, mithilfe einfacher anweisungen und in form und material interessanter gegenstände, eigene spirituelle übungen durchführen können. im dritten, abgedunkelten teil befindet sich eine art archäologische sammlung, die die retrospektive des ersten teils aufgreift, gefolgt von neueren werken, die, anders als die frühen werke weniger mit abramovic selbst als vertreterin einer universellen menschlichen erfahrung befasst sind, sondern sich ganz konkret dem balkan und dessen bild von der welt widmen.
**umfang: für die ausstellung sollte man mindestens 1,5 stunden einplanen, bei intensiver befassung mit den "benutzbaren objekten" auch deutlich länger.
**inhalte: die ausstellung ist eine kombination aus retrospektive und performancekunt zum mitmachen. sie zeichnet die anfänge von abramovics performancekunst in den 1970er jahren nach, die um die themen des menschseins, menschliches leiden, frau und mann und besonders die frau in der kunst kreisen. die ausstellung verhandelt dabei auch die frage, wie man performancekunst ausstellen kann und ob es legitim ist, performances zu wiederholen. hier kommen nicht die ausstellungskuratoren sondern die künstlerin selbst zu wort: marina abramovic versteht ihre performancekonzepte (wie auch die anderer künstler, z.b. beuys) als partituren, die mehrfach aufgeführt werden können. ihre kunst ist nicht das event sondern "das stück" und existiert unabhängig von einer aufführung. auch heute wirken viele dieser stücke verstörend, sorgen für ein flaues gefühl beim betrachter, der vielfach nicht wegsehen kann und zugleich nicht hinsehen mag. deutlich wird aber auch die kraft abramovics als performerin, ihre unerschrockene präsenz, auch schon in den ganz frühen werken.
im zweiten teil wird deutlich, woher abramovic jedenfalls einen teil dieser kraft schöpft: buddhistische praxis, vipassana-meditation, spirituelle übungen. abramovic selbst spricht von ihrer "abramovic-methode", die es ihr ermöglicht, z.b. stundenlang unbewegt auf einem stuhl im museum zu sitzen. mit einfachen mitteln versucht abramovic, die besucher daran teilnehmen zu lassen: mit bloßen füßen in riesige schuhe aus synthetischen kristallen steigen, die augen schließen, atmen, spüren. oder: sich mit stirn, brust und bauch gegen an einer wand angebrachte steine lehnen, atmen, spüren. oder: in einem abgetrennten bereich einer anderen person gegenübersitzen, dem anderen direkt in die augen schauen, atmen, spüren. diese letzte übung lasse ich aus - ich kenne die übung und weiß, das kann dauern. dafür reicht meine zeit heute leider nicht.
der letzte ausstellungsteil, in dem es um abramovics auseinandersetzung mit dem balkan geht, ist am wenigsten beeindruckend. andererseits zeigt es, dass abramovic sich auch nicht damit begnügt, die beeindruckenden und bewährten formate des präsent-seins oder der zur schau gestellten verletzlichkeit einfach publikumswirksam fortzusetzen. es wirkt, als hätte die künstlerin mittlerweile genug von sich selbst, und richtet nun den blick in eine andere richtung, zurück zu ihren wurzeln auf dem balkan, als finge sie an, sich selbst als weniger absolut sondern als teil einer umwelt, die sie geprägt hat, wahrzunehmen. das ist dann einerseits sympathisch und nachvollziehbar, den werken fehlt aber die kraft und eindringlichkeit der früheren stücke.
**hintergründe: die ausstellung wurde zuvor im moderna museet stockholm und wird 2018 auch in der bundeskunsthalle bonn gezeigt.
**architektur: die ausstellungsarchitektur ist schlicht und geradlinig, die besondere architektur des louisiana museum wird nicht aufgegriffen.
**extras: keine. die ausstellung reicht vollkommen aus.
**website: https://en.louisiana.dk/exhibition/marina-abramovi%C4%87
**fazit: sehr beeindruckend und anregend.

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